Spindelmühl ! Welche Poesie weckt nicht dein Name in den Herzen aller derer, welchen das Glück zu Teil geworden ist, eine Spanne Zeit in Deinem Bannkreise zu verleben, welche Sehnsucht rufst du nicht wach nach Waldeslust und Bergesgrün, wenn der Schnee auf Feld und Flur geschmolzen ist und die höher und höher am Himmelszelt emporsteigende Sonne die Menschen hinaustreibt aus den schwülen und dumpfigen Gassen der Städte in Gottes schöne, freie Natur !

Du, die Perle in Rübezahls Reich, Du, ein Stückchen Alpenwelt, das sich verirrt hat aus den zerrissenen und zerklüfteten Bergmassen der Heimat in die sanfter abfallenden und lieblicheren Gelände der schlesischen Gebirge.

Es war an einem warmen Frühlingsabend, als ich es kennen lernte. Nach einem anstrengenden Marsche von Schreiberhau aus über die Schneegruben und den Elbefall stiegen wir von den Schüsselbauden aus ins Tal hinab.

Unter uns lichtete sich plötzlich der Wald und ein überraschend schönes Landschaftsbild entfaltete sich vor unsern Augen. Rings in der Runde gewaltige, gen Himmel strebende Bergmassen, durchfurcht von engen, steilen, tiefen Tälern. Hoch oben alles öde und kahl, mit Gestein und Gestrüpp bedeckt, etwas tiefer unermessliche Waldungen.

Ganz unten, fast senkrecht zu unsern Füßen, zur Seite des silberhell dahinfließenden Elbbaches ein grüner Wiesenteppich und auf ihm zerstreut, den Abhang des Ziegenrückens in die Höhe kletternd, mit dem winzigen Kirchlein in ihrer Mitte, die Häuschen von Spindelmühl.

Die Spitzen der Berge rosig angehaucht von den letzten Strahlen der scheidenden Sonne, unten im Tale schon die Schatten der Nacht, in den Baumwipfeln das Säuseln des Windes, in der Tiefe gedämpft und kaum vernehmlich noch das Murmeln und Plätschern des in jugendlichem Übermut über Fels und Gestein hinwegsetzenden Elbbaches, begleitet von den feierlichen, rhythmischen Klängen der Abendglocken.

Es war eine andere, schönere Welt, in die ich mich versetzt glaubte, es war ein holder, süßer Märchenzauber, der mich umfing, als ich zum ersten Male Spindelmühl mir zu Füßen hatte.

Und dann war ich zum zweiten Male von Schreiberhau aus über das Gebirge in das Elbtal hinabgestiegen. Ich wollte von hier aus weiter nach der Koppe, aber unablässige Regengüsse hatten mich mit meiner Begleitung in Spindelmühl zurückgehalten.

Endlich lichtet sich das Gewölk, das so lange den Himmel verfinstert hat, die ersten Sonnenstrahlen brechen sich Bahn. Es hält uns nicht mehr in den geschlossenen Räumen des gastlichen Hauses unten an der Elbe.

Auf Kundschaft geht es, trotzdem Wege und Stege noch grundlos sind, zunächst hinauf zu den oberen Gasthäusern und zur Kirche und dann rechts in den Wald hinein aufs Geradewohl - denn wir wissen nicht, wohin uns der Weg führen wird.

Ob wir belohnt waren von unserem Ausfluge, als wir aus dem Walde heraustraten, als urplötzlich und unerwartet der Lange Grund von Sankt Peter sich vor uns auftat ?

Wahrlich, wir hatten schon ein gutes Stückchen vom Riesengebirge kennen gelernt. Wir hatten viele Wochen in Schreiberhau gelebt, wir kannten dessen nähere und fernere Umgebung, wir hatten die Schneegruben und den Elbfall besucht und waren durch das schöne romantische Elbtal nach Spindelmühl gekommen.

Aber ein Eindruck, wir ihn jetzt Sankt Peter mit seiner Umgebung auf uns machte, war uns noch nicht geboten worden. Wir blieben starr. Alles was wir bisher vom Gebirge gesehen hatten, war gewiß schön und herrlich gewesen. Denn es hatte unsere Herzen und Sinne erfreut, unsere Lebenslust und Lebensfreudigkeit gehoben und auch nach längerer Bekanntschaft uns immer wieder neue Reize zu zeigen gewusst.

Was wir jetzt sahen, war großartig und erhaben, die Wunder der Bergwelt wurden nun erst so recht in uns lebendig. Dieses lang gestreckte, schmale Tal, eingeschlossen auf allen Seiten von den himmelanstürmenden Bergriesen !

Zur Linken der mit Felsgeröll bedeckte, glatt wie ein Schachbrett abfallende Ziegenrücken, rechts mehr gerundet und mehr Waldung sehen lassend, aber nicht minder hoch und steil die Bergketten des Planur, des Heuschobers und des Plattenberges.

Vor uns im Hintergrunde der gewaltige Erdkoloss des Brunnenberges mit der Geiergucke. Unten am Klausenwasser die grünenden Matten des Dorfes Sankt Peter, oben an den Berggipfeln langsam dahinschiebende Wolkenmassen, welche die Berge selbst in der Phantasie des Beschauers noch höher erscheinen ließen und dem an sich düsteren und melancholischen Landschaftsbilde den geeigneten Farbenton verliehen.

Ja, Spindelmühl, Dich habe ich lieb gewonnen gleich von dem Augenblicke an, als mein Fuß dein Bereich zum ersten Male betrat, und den guten Eindruck, den Du damals auf mich gemacht, hast Du Dir auch in der Folge zu bewahren gewusst.

Noch immer denke ich voller Freuden an die schönen Wochen zurück, die ich an Deinen Wässern, in Deinen Wäldern, auf Deinen Bergen verlebt und verträumt habe. Schreiberhau hat die Berge nur auf einer Seite, sonst liegt es auf einer weitgedehnten Hochfläche und zwischen Hügeln. Mit Agnetendorf und Krummhübel steht es ähnlich.

Den eigentlichen Gebirgscharakter, den Wechsel von Berg und Tal zeigt das Riesengebirge erst auf böhmischer Seite, wo der Hauptkamm nicht mit einem Male wie in Schlesien schroff abfällt, sondern in seiner ganzen Länge zahllose Ausläufer nach Süden entsendet, die noch bei Johannisbad und Hohenelbe nur um wenige hundert Meter hinter der Koppenhöhe zurückbleiben - der Mittelpunkt der ganzen Gebirgswelt aber ist Spindelmühl, wo die Elbe nach Vereinigung ihrer beiden Quellflüsse den zweiten Hauptrücken des Gebirges durchbricht und nach Aufnahme des Klausenwassers in engem Felsentale ihren Weg nach Süden nimmt.

In Spindelmühl ist man so recht eigentlich mitten zwischen den Bergen. Die schönen Punkte des Gebirges sind von hier aus leicht und bequem zu erreichen. Der Elbefall mit den Schneegruben und die Schneekoppe sind nur drei bis vier Stunden entfernt. Peterbaude und Spindlerbaude sind Nachmittagspartien.

Will ich einsamere Wege einschlagen oder einen Gewaltmarsch unternehmen, so steige ich auf den Planur oder hinauf auf die Felsabhänge des Ziegenrückens. Bin ich ermüdet, will ich im Tale bleiben, so habe ich es nicht weiter als zwanzig Minuten bis zu Buchberger's Gasthaus in Sankt Peter, wo ich bei einer Tasse Kaffee noch einmal das herrliche Landschaftsbild genieße, welches dort vor mir ausgebreitet liegt.

Oder ich gehe Elbaufwärts bis zur Mädelstegbaude und weiter an der Elbe hinauf bis an den Pantschefall oder am Weißwasser entlang bis zu den Wasserfällen. Zur Abwechslung statte ich von Zeit zu Zeit der Krausenmühle in der Richtung nach Hohenelbe zu meinen Besuch ab und studiere dabei in den Krausebauden die merkwürdigen und oft nicht ohne Geschick verfassten Sinnsprüche die auf Tafeln fast über jeder Haustüre dieses Dorfes angebracht sind.

Wenn ich gar müde und matt bin, geht es in den Wald, den ich hier überall vor der Türe habe. In einer Hängematte schaukelnd, gebe ich mich süßen, lieblichen Träumen hin, plätschernd und gurgelnd murmelt der Elbstrom dazu seine Schlummerlieder.

Es ist überall schön, herrlich schön in Spindelmühl, selbst wenn man auf der Veranda des Gasthauses sitzen bleibt und sich die Berge ansieht, die nach allen Richtungen ein verschiedenes Gepräge zeigen.

Für viele freilich hat der längere Aufenthalt im Tal zwischen den hohen Bergen etwas Beängstigendes und Bedrückendes. Es ist dies namentlich da der Fall, wo man, wie in Sankt Peter und vielleicht auch noch in Johannisbad, in einer Talsohle eingeengt ist, die sich nur nach zwei Seiten öffnet, während in den andern Richtungen die Welt gleichsam mit Brettern vernagelt ist. Hier ruft der Mangel an Abwechslung Missbehagen hervor, man möchte die Bergwände zu beiden Seiten hinwegräumen, um die Welt von einer neuen Seite kenn zu lernen und erst unsere Ohnmacht gegenüber den gewaltigen Schöpfungen der Natur lässt das Gefühl der Beängstigung und Bedrückung in uns aufkommen.

Die Lage von Spindelmühl ist allerdings insofern günstiger, als hier vier große Gebirgstäler, das der oberen Elbe und des Weißwassers, das des Klausengrabens und der unteren Elbe, zusammenstoßen und dadurch auch bei Beschränkung auf kleine, nicht anstrengende Partien die reichste Abwechslung geboten wird.

Aber doch hat die Enge des Horizontes für den Bewohner des Flachlandes auf die Dauer etwas Beklemmendes; wenn man tagelang im engen Tale eingeschlossen war, sehnt man sich danach, den Blick wieder einmal in ungemessene Weiten schweifen zu lassen.

Der rüstige Wanderer freilich wird sich von diesem Alpdruck - artigen Gefühle leicht befreien, indem er sein Ziel in höhere Regionen setzt, wo sein Auge, durch keine Felswände behindert, in die weiteste Ferne dringt. Wie aber, wenn Tage und Wochen lang anhaltendes schlechtes Wetter jeden größeren Ausflug vereitelt ?

Dann ist der Aufenthalt in einem solchen Felsenkessel recht ungemütlich; das bei Sonnenschein in den herrlichsten Farben schimmernde Gemälde ist dann mit einem einförmigen grauen Farbenton überzogen und macht einen recht trübseligen Eindruck.

Alles in allem genommen dürften daher für Familien und für weniger abgehärtete Lustreisende die Sommerfrischen auf unserer Seite zu längerem Aufenthalt mehr zu empfehlen sein, wo neben dem Blick auf den gewaltig aufstrebenden Kamm, den auf österreichischer Seite nur wenige Punkte in gleicher Großartigkeit bieten, sich von allen freien und höher gelegenen Punkten leibliche Ausblicke in die häuserreiche Hirschberger Ebene eröffnen.

Hier braucht sich die Wolkendecke nur ein wenig zu lüften, um dem schaulustigen Auge eine Fülle der fesselndsten Bilder zu bieten. Auch pflegt die Regendecke nach der Talseite weniger dicht und weniger konstant zu sein, als in höhern Regionen, so das, wenn der Kamm und seine Nachbarhöhen in dichte Nebel- und Wolkenmassen eingehüllt sind, die Ebene oft im prächtigsten Sonnenschein daliegt.

So paradox es daher auch für den, der nur die einzigartige Lage Spindelmühls im Herzen des Gebirges in Betracht zieht, erscheinen mag, so wird man doch behaupten können, das der längere Zeit Weilende in den diesseitigen Sommerfrischen die einzige ist, welche mit denen diesseits der Berge in Bezug auf die Zahl der Besucher wetteifern kann, und wir brauchen um seine Zukunft nicht in Sorge zu sein.

Der Strom der Fremden, der schon jetzt seine Wellen bis zu dir hin entsendet, du lieblichste Perle unseres Nachbarlandes, wird Deine stillen Täler gar bald überfluten, prächtige Hotels wirst du anstatt der heutige anspruchslosen Wirtschaften bei dir entstehen sehen, deine Berge aber werden wiederhallen von dem Lachen und Jubeln einer lebensfrohen Menge.

Und wir, die wir uns jetzt noch an Deiner friedlichen Stille und an deiner Natürlichkeit erfreuen, dürften, wenn Du erst ein Mondänes Touristencentrum geworden bist, nicht mehr bei Dir finden, was uns jetzt an Dir teuer ist.

Aber wir sind selbstlos. Wir freuen uns darüber, wenn ein so schönes Fleckchen Erde zum Gemeingute Aller wird, und wenn es uns dann später unter dem Schwarme Deiner Besucher zu bunt wird, dann setzen wir unsern Wanderstab höher hinauf aufs Gebirge.

Und gerne werden wir dann von den Bergen zu Dir hinuntersteigen, um zeitweilig unsere Einsamkeit zu unterbrechen, Kultur zu atmen und Menschen zu sehen. Spindelmühl, du lebst fort und wirst fortleben als liebes, trautes Fleckchen Erde in meiner und Vieler Erinnerung,