Ein blasblauer Frühlingsmorgen wölbte sich mit wuchtigen Wolkengebilden, hinter denen sich zeitweilig die Sonne verkroch, an jenem Tage über dem Riesengebirge.

Ich sah dieses eigenartige Stück Bergwelt zum ersten Male und betrachtete seine gewaltigen Kuppen als ich so zur Burgruine Kynast den Berg hinanstieg, mit einem Gemisch von Verwunderung und Entzücken.

Wie ehrwürdige Patriarchenhäupter scheinen sie mir und ihre kahlen Gipfel dünkten mich weithin leuchtende Glatzen, indessen die krausen Bärte ihrer Nadelwälder bis zu ihren Füßen herunter in die Talsohle flossen.

"Das also hier ist Rübezahls Reich," dachte ich und alle die halbverschollenen Sagen und Märchen von diesem neckischen Berggeiste, wie sie mir noch aus den Schullesebüchern und heimatkundlichen Schriften im Gedächtnis hafteten, kamen mir wieder in den Sinn.

Wildromantische Felsenschluchten öffneten sich zu Seiten des Weges, riesenhafte bemooste Blöcke säumten den Pfad, als wären die dem arglos Dahinschreitenden aus einem Hinterhalt entgegengeschleudert worden, als hätte der Berggeist selbst seine Hände im Spiel gehabt.

Alle Berichte und Überlieferungen von diesem Kobold aber sind sich darin einig, dass er niemals eine Untat beging, so schlimme Streiche er auch an manchen sonst verübte. Immer waren es bloß die Reichen, die Hartherzigen und Geizigen, die seinem Haß zu spüren bekamen, den Armen, den treuherzigen und naiven Seelen, denen half er sogar und spendete ihnen klingende Münze. Seinen tollen Schabernack trieb er nur mit jenen, die es so verdienten. Auch Wetter konnte er machen, je nach Bedarf.

Schwere Gewitter und gewaltige Stürme konnte er daherbrausen lassen, wenn er zornig war oder jemand Verhaßtem den Heimweg versalzen wollte. Dann wurde er zum grimmigen Unhold und die Reisenden, die der Weg durch Wald und Gebirge führte, bekreuzigten sich und strebten mit Macht den menschlichen Wohnstätten zu.

Bei solchen Betrachtungen merkte ich die Steile des Aufstiegs kaum, wiewohl mir die Schweißperlen über die Stirne rannen.

Ich war in eine echte und rechte Märchenstimmung hineingeraten und es klingt vielleicht ein wenig überspannt, wenn ich erzähle, aber der eine oder andere, der beim einsamen Wandern auch einmal in eine gewisse Verträumtheit hineingeraten ist, wird es vielleicht nachfühlen können, wenn ich erzähle, wie ich da so vor einem klaffenden Felsenspalt, in dem ein paar Rinnsale über üppig wuchernde Farren zerstäubten, plötzlich in kindischem Übermute die Beschwörungsformel rief: "Rübezahl, erscheine !"

Es ist, als ob der in laute Worte gekleidete Gedanke oft auf uns selber eine magische Wirkung ausübte; denn gleich darauf spähte ich neugierig umher, von welcher Seite der Geist wohl kommen würde. Ich sprach die Worte noch einmal, eindringlicher und bittender als vorher - wie gläubige Kinder tun. "Du musst es dreimal sagen", befiehlt Mephistopheles im Faust. Also verhallte auch mein dritter Ruf.

Niemand lies sich sehen. Nur ein ferner Vogelruf unterbrach die nachmittägige Stille. Nur ein paar klirrende Steinchen fielen von bröckelnder Felsenwand vor mir auf den Weg. Trotzdem die liebe Einbildung tut ja so viel - hatte ich alsbald das Gefühl, als sei jemand in meiner Nähe, als starrten unruhige, flackernde Augen aus dem Walde zu mir her. Etwas ging an meiner Seite keuchenden Atems mit mir bergan.

Mag sein, dass diese unheimliche Empfindung erzeugt wurde, weil sich der Himmel allmählich verfinsterte. Eine schwarze Wolkenwand wuchs über meinem Haupte zu drohender Größe heran. Deshalb war es auch eine art befreiten Aufatmens als endlich mein Wegziel erreicht war und sich der Burghof vor mir auftat





Nun sind die schönen, klaren, blauen Herbsttage wieder herangekommen, ohne dass man es spürte, wie der Sommer zu Ende ging und die Welt sich lautlos in ihre dritte Jahreszeit verwandelt.

Auch in die Bäume der Berge ist der Herbst schon eingekehrt und hier und da hebt sich in den waldigen Tälern das sich färbende Laub junger Birken und Buchen gegen die dunkleren Farbtöne der hinter ihnen aufragenden hohen Fichtenwälder ab. Das Heidekraut an tieferen Wegen ist verblüht.

Spinnen haben darüber ihre weiß - grauen dichten Netzte gesponnen. Die Sonne liegt warm auf den Wiesen. Wo aber die ewig gleichmäßige Stimme der Bäche sich durch die Stille des Herbsttages singt, blüht abseits und verborgen neben den Wassern der blaue Enzian, die Herbstblume des Riesengebirges.

Vereinzelt blüht sie nur hier unten in den tieferen Tälern, wer aber hinauf auf den Kamm steigt, dem wird es nicht selten begegnen, dass ein hoher, einsamer Berghang ihm blau entgegenleuchtet, wie ein Abglanz des strahlenden Herbsthimmels.

Zahllos heben sich dort die Kelche des Enzians über den Erdboden und wenn der Wind über die Hänge streicht geht es wie ein unablässiges blaues Wogen zu den Wäldern hinunter.

Wunderbar ist diese Herbstzeit in ihrer Stille und Klarheit, ist wie ein letztes Geschenk des Jahres an uns, dass wir freudigen Herzens und beglückt wie Kinder entgegennehmen und empfangen.

Feierlich liegt das späte Licht des Nachmittags über der Berglandschaft und der letzte Glanz der mit jedem Tage zeitiger sinkenden Sonne hebt den hohen Kamm des Gebirges noch einmal über der großen Weite des Tales in seine Verklärung.

Dann kommt der Abend und mit ihm der lautlose Aufgang der Gestirne, davor die Wälder und Berge, fast unberührt von jedem Windhauch, nichts anderes haben als ebenfalls ihre Lautlosigkeit und ihr Schweigen. Den warmen herbstlich durchsonnten Tagen folgen die schönsten und reinsten aller Nächte des Jahres

Es gibt Dinge und Ereignisse, die an sich vielleicht klein und bedeutungslos sind, aber es geschieht - und das liegt an der Stunde, die zu uns spricht - das sie sich unauslöschlich in unser Inneres einprägen, so dass sie immer wieder vor uns aufstehen, wenn wir an jene Stunde und an die Landschaft zurückdenken aus denen uns das Erlebnis kam.

Den ganzen Tag lang war nichts um das Haus als das lautlose, graue Wehen des Nebels und rauschender Regen, nur manchmal hatte sich für einen Augenblick das Grau gelichtet, dass unten über den Wiesenhängen die anderen Häuser und Pensionen auftauchten und darüber ein schmaler Streifen der Wälder, die sich weit zum Kamm hinaufziehen.

Aber die Fetzen des Nebels, die von oben her über die Wälder glitten und tasteten, zogen bald wieder wie lange gespenstische Finger den grauen schleppenden Vorhang zu. Und doch treibt es mich jetzt hinaus, da der Regen ein wenig nachgelassen hat. Gerade der Nebel lockt mich. Es ist etwas Eigenartiges um sein Erleben, gegen die feuchte Kühle hilft wetterfeste Kleidung. Ich steige gleich hinter dem Haus in dem ich wohne durch den Hochwald den Bergweg hinan.

Rechts und links von mir die hohen steilen Stämme jahrzehntealter Fichten ! Auch ihre Wipfel über mir sind in der verhüllenden michweißen Dämmerung, die zwischen den Stämmen steht, unsichtbar.

Hier und da tauchen neben meinem Weg auf dem Erdboden aus dem Nebel die großen, gefiederten Blätter schon halbwelker Farne auf. Ein Bergwasser singt sich rauschend an mein Wandern heran. Der Weg ist steinig und vom langen Regen ausgewaschen. Der Schritt darauf hat etwas Hartklingendes, davor die dämmernde Stille rundum jäh erschrickt, dass sie ihn verhalten dämpft.

Lange steige ich so. Stunde um Stunde. Einmal erkenne ich dicht vor mir die großen schattenhaften Formen und Umrisse einer verlassenen Baude, ich gehe daran vorüber und aus den Fenstern dringt trotz der noch nicht späten Stunde des Nachmittags ein fahler glanzloser Lichtschein.

Weiter, immer weiter - wie ohne Ziel. Dann bin ich oben auf dem Kamm. Plötzlich die Stimme eines Menschen, dazu ein Klappern und Rasseln von Metall, ein Holzarbeiter mit einem Pferd löst sich vor mir aus dem Nebel, so dass ich vorsichtig beiseite trete um ihn vorbeizulassen. Grußlos geht er vorbei und der Nebel verhüllt ihn sofort wieder hinter mir und auch die begleitenden Geräusche sterben ein paar Minuten später in der unendlichen Stille der herbstlichen nebelverhangenen Bergeinsamkeit.

Es ist windstill geworden, und auch der Regen hat jetzt ganz aufgehört. Hält man im Gehen inne, dann steht um einen von allen Seiten nichts als graue, undurchdringliche Wand, die Schritt für Schritt zurückweicht, wenn man weitergeht. Kein Mensch begegnet mir mehr.

Rechts und links tauchen wie Schatten die niedrigen, weiten, über die Kammwiesen verstreuten Knieholzinseln auf. Einmal steht der Schrei eines fernen Raubvogels sekundenlang in der Stille. Schön ist diese Wanderung im Nebel, wie alles in den Bergen seine Schönheit hat.

Alles gewesene Leuchten ist ausgelöscht, und hinter diesem Herbstwanderung stehen schon die großen Stürme der Berge, die bald Tag für Tag und Nacht für Nacht nicht mehr zur Ruhe gehen werden, und hinter diesen Stürmen wieder steht das große, lautlose, winterlich - weiße Verschüttetsein, das unendliche Schweigen im Schnee, die große Einsamkeit schneehimmelverhangener Tage.