Wenn man auf der Landeskrone bei Görlitz oder auf dem Jeschken bei Reichenberg steht und seine Blicke nach Osten richtet, wo unter tiefblauen Himmel sich schwarz-blau Höhenzüge erheben, dorthin wo die Elbe entspringt, wo die mayestätisch und zugleich mystische Schneekoppe gen Himmel ragt da kann einem, der seine Heimat nie vergessen wird, gewaltige Sehnsucht das Herz schwer machen.
Und doch liebt jeder die Berge auf seine Art, fühlt sich mit ihnen verbunden. Der eine kommt von draußen in sie herein, der andere lebt als Wesensteil ihrer selbst.
Alles ist Verwandlung und Wandlung, auch die Berge wissen davon. Damit bekennen wir uns zu unseren Bergen, zu ihrer Schönheit und ihrem stillen, leuchtenden Zauber wie auch zu ihrer Herbheit und Härte.
Eine Reihe von Dichtern hat das Riesengebirge als Wohnsitz auserwählt. Ist das nicht der beste Beweis dafür, das das Gebirge immer in großem Maße ein Duell der Kraft sein kann dem,der ihn zu finden weiß,und der ihn täglich braucht, um leben und schaffen zu können ?
Die Berge selbst aber stehen in den Werken ihrer Dichter als ein Spiegelbild auf, die Schicksale ihrer Menschen werden darin angerufen und gestaltet, und der ganzen Größe dieser Welt wird damit ein Denkmal gesetzt, vielleicht zum Dank, vielleicht aber auch darum, weil es für den schlesischen Dichter keine größere und schönere Aufgabe geben kann als die, die nahe Umwelt, ihre Menschen und deren Schicksale in ihren Werken aufzustellen.Wer aber vermag ganz das Riesengebirge mit seinen Worten zu erfassen ?
Wieviele Dichter müssen kommen, wieviele Maler, die die ursprünglichen Farben der Berge niemals ganz nachzubilden vermögen - wird ihre Zahl reichen, um einmal alles, auch das Letzte über die Bergwelt ausgesprochen zu haben ? Aber kann davon überhaupt die Rede sein, den Bergen ein Denkmal zu setzen ? Ein Denkmal wird für Gewesenes und Totes zum Gedenken errichtet, wann aber werden die Berge, wird das Riesengebirge zu Gewesenem oder Totem gehören ?
Bunt ist das Leben zu seinen Füßen, Geschlechter kommen und gehen, Dichter kommen und gehen, und jeder hat etwas von dem auszusagen vermocht, womit ihn die Berge anrührten und in ihren ewigen Bann zogen.
So wird unser Herz immer den Bergen unseres Riesengebirges gegenüber voller Demut sein ; denn sie sind größer und gewaltiger als das Leben eines Menschen und überdauern allen Tod.
Und aus dieser immer noch faszinierenden wildromantischen Bergwelt mit dem Berggeist Rübezahl als Hüter und Schutzpatron der einfachen Leute, möchte ich heraus zurufen, das die Größe und eigenartige Schönheit einer Region nur dann wirklich verstanden werden kann, wenn man es mit der Seele sucht.
Wenn die Schlesier von ihrem Riesengebirge sprachen, dann dürfen sie von ihm als dem schönsten Teil eines gesamtschlesischen Landschaftsraumes geredet haben.
Der Zug des Riesengebirges steht im Süden über dem Hirschbergertal wie ein Wall, in seiner Geschlossenheit vom Reifträger bis zum Forst- und Landeshuter Kamm eine Ganzheit besitzend, wie sie kaum irdenein anderes Gebirge aufweisen kann. Wie ein großer Klang schwebt die geschwungene Kammlinie über allem.
Und wie es mit seinen grünen Armen weit ins schlesische und und böhmische Land hineingreift.
"Du mein schö-hö-nes Riesengebirge . . .", wer diesen Satz beim Lesen mitsingt, ist entweder selbst schon etwas in die Jahre gekommen oder erinnert sich wohlwollend an die zittrige Stimme der Großmutter, die sich so gern in den Geschichten aus der alten Heimat verloren hat
Alltag und alle Tiefen vergessend, nur die Höhe wissend und das klare Licht mit seiner makellosen, läuternden Reinheit. Solche Stunden geben innere Freiheit, und mehr als ein Mensch hat in ihnen zu sich zurück- oder überhaupt erst einmal ganz zu sich selber gefunden
Die wilden Felskessel und die weiten Hochflächen, die dem Riesengebirge einen herben, majestätischen Charakter geben, wie ihn kein anderes deutsches Gebirge, außer den Alpen, aufzuweisen hat, sind jedoch nur die einen Züge, die heroischen, im Antlitz dieser herrlichen Bergwelt.
Dennoch ist über allem andern das Gebirge selber der schönste Besitz dieser Landschaft, ob es in morgendlicher Unberührtheit erglänzt, ob es mit den Wolken spielt oder in greifbarster Klarheit, leicht wie aus Glas geblasen im Lichte liegt, oder ob es nun den Beschauer selber auf seinem Gratrücken trägt, im Schnee oder Enzian, und ihm diesen Weitblick zu Füßen legt, der sich als unvergessliches Bild ihm einprägt.
Und immer wieder möchte man hinausrufen: Ich bin das Leben, ich bin die Kraft, ich bin ein Waldeskind der böhmisch-schlesischen Riesengebirgswelt. Einer Welt mit Geheimnissen die im Moospolster wohnen, in tiefen Wasserlöchern, quirlenden Rinnsalen, wilden Wurzelwerk, niedergebrochenen Geäst mit Gnomen und Zwergen und nicht zu vergessen mit all seinen Blühen von Enzian, Arnika, Rittersporn und Fingerhut.
Viele wird das Riesengebirge auf seine höchste Höhe rufen und an Schlesierhaus und Riesenbaude vorüber geht es den steinigen Zickzackweg zur Koppe hinauf, deren Kegel alles überragt.
Unbeschreiblich schön ist der Blick von dort oben nach Böhmen und Schlesien. Nach allen Seiten dehnt sich schier unübersehbar das weite schlesische Bergland, ein Waldrücken liegt am anderen, und alle durchschneidet von Ost nach West der hohe, einsame und nur von Knieholz bestandene Hauptkamm des Gebirges.Von hier aus kann man auch einen tiefen Blick in das böhmische Riesengebirge tun.
Im Osten die Grenzbauden und der Kolbenkamm, an dessen Fuß die ersten Häuser das ausgedehnte, zwischen den hohen Bergwänden verstreut liegende Aupa eröffnen. Weiß und rauschend schäumt dort das Wasser zwischen den Wohnstätten hin, das Wasser, nach dem der Ort seinen Namen hat.
Im Süden ragt der Schwarze Berg auf mit der Schwarzschlagbaude in seinen Wäldern, weiter davon ab der Fuchsberg und die Geiergucke, der Heuschober und Planur, der Ziegenrücken, die Goldhöhe und der Korkonosch mit dem Elbgehänge, und überall zwischen den Wäldern leuchten im Sonnenglanz die Dächer einzelner Bauden auf.
Eingebettet in Wälder und Berge ruhen die Sieben Gründe, versunken und doch von der klaren Himmelshöhe träumend, und die Schatten der weißen, ziehenden Wolken gleiten lautlos durch ihre Träume. Bergwasser rauschen durch die Gründe und Baudenliegen an ihren Hängen die in ihrer unverwandelten Ursprünglichkeit dem Riesengebirge seine echteste Eigenart bewahrt haben.
Denken wir an die einsamen Richterbauden, an die Brunnbergbauden, an die Baudenund Hütten im Riesengrund und im Zehgrund, an die schlichten, stillen Leierbauden über Spindlermühle zwischen dem Weißwasser- und dem Elbgrund - überallspüren wir den Hauch, das zu diesen anheimelnden Gebirgshütten und zur Riesengebirgslandschaft einfache Menschen,die in den Wäldern und auf den steilen Wiesen ein hartes Tagewerk hatten,gehörten. Ihr Antlitz scheint oft uralt wie das der Berge selber, auf denen sie wohnten.
Es gibt Augenblicke, in denen man von all diesem aufs Innerste gepackt und von unaussprechlicher Liebe zu ihm erschüttert wird, und ich denke, da ich dieses niederschreibe an einen unvergeßlichen Sommerabend, den ich vor ein paar Jahren einmal im Riesengrund erleben konnte.
Als ich des Abends von einer Wanderung heimkehrend an der alten Hoffmannbaude oberhalb Johannisbad vorbeikam klang in seiner schlichten anheimelnden Melodie aus der holzgezimmerten Baude das Riesengebirgslied - "Blaue Berge, grüne Täler, mitten drin ein Häuschen klein, herrlich ist dieses Fleckchen Erde, denn ich bin ja dort daheim!" Eine heimatvertriebene sudetendeutsche Wandergruppe war in die Baude eingekehrt um ihr alljährliches Treffen abzuhalten.
Ich blieb wie versonnen stehen und es war, als steige es nicht aus den Kehlen der Menschen, sondern aus der Erde selbst, aus der großen Stille des Abends, aus dem Schweigen der Wälder,aus dem Rauschen eines Gebirgsbaches.
So zogen die Worte in den Sommerabend hinaus, während das letzte Licht der Sonne die Umgebung mit einem leuchtenden Glast überspann, bis alles erlosch und ins Dämmern sank, das aus den Tälern bis in den Himmel stieg.
"Riesengebirge - deutsches Gebirge, meine liebe Heimat du !"
Ich spürte ein tiefes Erlebnis der Heimat, der ich glücklich verfallen bin.So klang das Lied aus, und es war nichts um diese verhallenden Worte als das Schweigen der lautlosen, abendlichen Bergwelt und das Schweigen der Herzen, die das Zugehören zur heimatlichen Erde bis in die letzten Tiefen spürten.
Kühl wehte die Nacht, mit süßem Heuduft vermischt durch die Fenster ins Innere der Baude. Wer mit einer Landschaft vertraut werden will, muß immer wieder zu ihr zurückkehren, wenn er sie auch noch so gut zu kennen meint, muß in ihr leben und ein Teil ihrer selbst werden
Das Riesengebirgen erfordert das vielleicht in noch stärkerem Maße als andere Landschaften